Eine wahre Geschichte, und sie hat es auch geschafft!
Erfarungsbericht von Kim
KIM: Wie viele Leute an meiner Schule fand ich mit erziehenden Eltern zusammenleben und Schule doof. Ich hatte genug davon, fünf Tage in der Woche von kurz vor 8 bis in den Nachmittag hinein, Wissen vorgesetzt zu bekommen, dass mich gar nicht interessiert, nur um irgendwann einmal vielleicht einen Zettel namens Abitur in der Hand halten zu können, der bewerten soll, wie gut oder schlecht ich für dieses ausbeuterische System zu verwerten bin.
Hausaufgaben machte ich aus Prinzip schon länger nicht mehr, schrieb nur noch mit, was ich für mich sinnvoll fand. Dann fing ich an, erst zur zweiten oder dritten Stunde zu kommen, ab und zu die letzten ein, zwei Stunden zu schwänzen, Klausuren- und Leistungskontrollen zu verweigern. Ich ging nur noch manchmal hin, um Freunde zu besuchen. Ich bemerkte, dass es viel schöner ist, meinen Tag selbst einzuteilen.
Je mehr ich schwänzte, desto weniger hielt ich es noch in der Schule aus. Ich frage mich, wie ich das früher so viele Jahre dort ausgehalten hab. Der Schulalltag und meine Eltern wurden mir immer fremder und spießiger. Das führte natürlich zu Konflikten mit der Schule und meinen Eltern. Der Versuch, mich mit diversen erzieherischen Druckmitteln wieder auf den von ihnen als richtig erachteten Weg zu bringen, scheiterte.
Zuhause wurde die Stimmung immer ätzender. Meine Eltern fühlten sich immer machtloser, wussten nicht mehr, wie sie mich dazu bringen konnten, wieder normal und angepasst zu sein und auf sie zu hören. Sie brachten mich einmal sogar in die Schule und warteten, bis ich das Gebäude betrat, um sicherzugehen, dass ich nicht schwänze. Das half aber auch nichts, denn ich hatte keine Lust auf Frontalbeleerung und bin trotzdem nicht zum Unterricht, sondern in die Schulbibliothek gegangen. Ich mag die Athmosphäre von Bibliotheken und bin auch oft in welche gegangen, wenn ich geschwänzt habe. Ich kann da auch effektiver lernen als in einer unruhigen Schulklasse mit nervigen Leerern. Es geht mir ja nicht darum, nichts zu lernen, was ja sowieso Blödsinn ist, weil mensch immer und überall dazulernt. Ich finde, dass in der Schule einfach kein gutes Klima zum Lernen ist. Ich will selbst bestimmen, was ich wann, wo und wie lerne - in der Schule werde ich daran nur gehindert.
Schließlich hielt ich es auch zu Hause durch Erziehungsattacken und Unverständnis meiner Eltern nicht mehr lange aus und verbrachte kaum noch Zeit bei meiner Familie, übernachtete fast nur noch bei Freunden.
Ich hatte in den letzten Jahren immer mehr Leute kennen gelernt, die nicht den normalen Weg der Vorbereitung auf die Verwertung im Arbeitsmarkt eingeschlagen haben, sondern die selbstbestimmt leben, die die Welt verändern wollen, Alternativen aufbauen, die sich nicht stumpf anpassen, die noch Träume haben und versuchen, sie umzusetzen - und denen es trotzdem - oder gerade deswegen - gut geht. Meine Eltern konnten mich nicht mehr mit Szenarien wie „in der Gosse landen“ oder ähnlichem Unfug dazu bringen, zur Schule zu gehen. Es können heutzutage doch selbst Leute mit Abitur und Studium langzeiterwerbsarbeitslos sein, die finanzielle Sicherheit ist also doch nicht so sicher und Eigentum und viel Geld machen mich zumindest auch nicht glücklicher.
Ich wollte nicht mehr in diesem fremdbestimmten Alltag leben und damit vertrösten, mir dadurch eine bessere Zukunft zu versprechen. Ich will jetzt leben, wie es mir gefällt, nicht erst in 50 Jahren als Rentnerin. Ich lebe nur einmal. Als ich eingesehen hatte, dass ich mich mit meinen Eltern nicht darauf einigen konnte, dass sie ihr Leben und ich mein Leben lebe, habe ich (mal wieder) meinen Rucksack gepackt, meinen Schlafsack daran befestigt, Taschengeld, mein Kuscheltier und andere mir wichtige Utensilien zusammengepackt und bin abgehauen. Diesmal bin ich aber nicht, wie bei meinem ersten, spontaneren Ausreißmanövern, nach spätestens 3 Wochen wieder nach Hause gegangen.
Ich bin von November 2005 bis September 2006 unterwegs gewesen. Dann bin ich 18 geworden und damit nicht mehr rechtlich gesehen minder(wert)jährig, also nicht mehr Ausreißerin.
Nach langer von erzieherischer und schulischer Fremdbestimmung geprägter Zeit habe ich das Gefühl, dass mein Leben viel aufregender geworden ist als die ganzen Jahre davor. Denn ich kann endlich selbst entscheiden, was ich mit meinem Leben anfange und wie ich meinen Alltag gestalte. Ich habe nicht mehr nur ein paar Stunden am Tag und am Wochenende oder in den Ferien, sondern immer Freizeit. Ich bereue überhaupt nicht, dass ich abgehauen bin. Ich habe nicht das Gefühl, meine Zeit zu verschwenden, sondern ich kann endlich all das ausprobieren und erleben, wofür ich vorher keine Zeit oder Energie mehr hatte.
Ich kann empfehlen, bevor mensch abhaut zu planen, wo es hingehen soll. Ich hab immer erst einen Übernachtungsplatz bei Leuten, die ich mag oder alternativen Projekten gesucht, bevor ich an einen anderen Ort gegangen bin. Es ist auch von Vorteil einen warmen Schlafsack, robuste Schuhe, wetterfeste Kleidung und ähnliches was mensch für eine längere Reise als notwendig erachtet, mitzunehmen, um nicht wegen irgendwelcher Sachzwänge zurückkehren zu müssen.
Im Nachhinein betrachtet, habe ich mir ziemlich viel gefallen lassen, bis ich endgültig abgehauen bin, weil ich noch nicht alles zusammen hatte. Also auch wenn das Packen nicht mehr klappt, es lässt sich auch vieles von anderen Menschen oder aus Umsonstläden besorgen.
Es war für mich einfacher, abzuhauen, wenn meine Eltern gerade nicht da waren, als abends aus der Wohnung zu schleichen. Es war einfacher, einen Zettel zu schreiben und zu verschwinden als ihnen direkt zu sagen, dass ich jetzt abhaue, weil sie dann versuchten, mich aufzuhalten.
Zumindest bei meinen Eltern war es von Vorteil, Telefonnummern und Adressen von FreundInnen und UnterstützerInnen nicht daheim zu lassen oder ihnen zu sagen, da sie die, von denen sie diese hatten ständig mit Anrufen und teilweise sogar Hausdurchsuchungen nervten. Ich habe eine Nachricht hinterlassen, damit sie nicht denken, ich sei entführt worden oder so.
Meine Eltern meldeten mich bei der Polizei als vermisst. Deshalb vermied ich, in eine polizeiliche Personalienfeststellung zu kommen, weil die mich sonst mitgenommen und wieder zu meinen Eltern gebracht hätten. Da ich das nicht wollte, begrenzte das leider meine Teilnahme an politischen Aktionen - aber nicht deren Vorbereitung und Unterstützung. Auch z.B. beim Trampen sagte ich nicht, dass ich abgehauen bin, wobei Lastwagenfahrer mir oft von sich aus erzählten, dass es recht viele (meist weibliche) AusreißerInnen gibt, die sie schon mitgenommen haben. Es gibt viele Möglichkeiten, wie mensch (fast) ohne Geld an Sachen rankommen kann, für die andere Menschen arbeiten oder bei ihren Eltern leben, die ich genutzt hab und auch noch heute nutze. In dieser Broschüre möchte ich nützliches Wissen und Erfahrungen weitergeben.
Also, wenn ihr noch zur Schule geht oder bei euern Eltern, Pflegefamilien oder in blöden Jugendamteinrichtungen wohnt und auch keine Lust darauf habt, ihr müsst euch das nicht gefallen lassen. Nehmt euer Leben selbst in die Hände und unterstützt auch andere dabei.
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